Im Juni 2018 erreichte Alexandria Ocasio Cortez etwas, das viele zuvor für unmöglich gehalten hatten: Sie gewann die Primaries in ihrem New Yorker Wahlbezirk gegen den seit 10 Wahlperioden unangefochtenen Amtsinhaber Joe Crowley und das, obwohl Crowley in der demokratischen Partei sehr gut vernetzt war und auch ein deutlich größeres Wahlkampf-Budget als AOC hatte. Wie schaffte es die junge Politikerin, trotz alledem die Vorwahl zu gewinnen? Neben ihrem überzeugenden Social Media Auftritt war ein unbestrittener Erfolgsfaktor ihre starke Präsenz bei den Wähler*innen im Vorfeld der Wahl: Um möglichst viele Menschen von ihrer Kampagne zu überzeugen riefen sie und ihr Team 75.000 Wähler*innen an, klopften an 120.000 Türen und verschickten 120.000 SMS. In einem Tweet kurz nach der Wahl erklärte AOC selbst: “We won because we out-worked the competition” und zeigt zum Beweis ein Foto ihrer durchgelaufenen Schuhe: “I knocked doors until rainwater came through my soles.”
Auch wenn der Ocasio Cortez’ Erfolg von vielen weiteren Faktoren abhing, zeigt ihr Beispiel doch deutlich, wie viel der direkte Kontakt mit Wähler*innen bewirken kann. Wenn auch Du Haustürwahlkampf in Deiner Kampagne einsetzen möchtest, findest Du in diesem Beitrag alles Wissenswerte zu diesem Thema. Falls du dir noch nicht ganz sicher bist, ob bzw. in welchem Umfang du Haustürwahlkampf in deiner Kampagne einsetzen möchtest, und dich erst allgemein zu diesem Wahlkampfmittel informieren möchtest, bist du bei diesem Beitrag richtig. Falls du aber bereits auf der Suche nach konkreten Tipps zur Umsetzung deines Haustürwahlkampfs bist, findest du diese im zweiten Abschnitt des Artikels.
Hauptsächlich geht es beim Haustürwahlkampf natürlich darum, potentielle Wähler*innen davon zu überzeugen, bei kommenden Wahlen für Dich zu stimmen. Daneben hat diese Form des Wahlkampfs aber noch viele weitere positive Effekte: z.B. können Infomaterialien verteilt, Freiwillige für die Kampagne gefunden und die öffentliche Sichtbarkeit der Kampagne gestärkt werden. (https://www.jstor.org/stable/pdf/10.7864/j.ctt1657t5x.6.pdf?refreqid=excelsior%3Ae9c97d550b93f185b56619269932b091&ab_segments=&origin=&acceptTC=1, p. 23) Des Weiteren kommen Kandidat*innen und Freiwillige in den direkten Austausch mit Wähler*innen und haben dadurch die Möglichkeit, deren Anliegen besser kennenzulernen.
Diese Wirkkanäle des Haustürwahlkampfs sind, vor allem in den USA, ausführlich empirisch untersucht worden. Im Buch “Get Out The Vote” ist ein Überblick über wichtige Erkenntnisse zur Effektivität des Haustürwahlkampfs zu finden:
Insgesamt zeigt also eine Vielzahl von Studien, dass Haustürwahlkampf auf vielfältige Weise effektiv ist. Dabei ist die Wirkung besonders groß, wenn er auf unzuverlässige Wähler*innen abzielt, die ansonsten auf eine eher unwichtige Wahl verzichten würden.
Die oben genannten Punkte basieren hauptsächlich auf Studien aus den USA. Doch wie wirkt Haustürwahlkampf in Europa? Obwohl die Quellenlage hier nicht so ausgeprägt wie in den USA ist, liegen zum Beispiel Ergebnisse einer Metastudie aus sechs europäischen Ländern vor. Diese kommt zu dem Schluss, dass der Effekt von Haustürwahlkampf in Europa deutlich kleiner ist als in den USA, betont aber gleichzeitig, dass weitere Experimente in Europa nötig sind, um den Effekt von Haustürwahlkampf klar zu bestimmen. Doch warum könnte es bei der Effektivität des Haustürwahlkampfs überhaupt Unterschiede zwischen den USA und Europa geben? Erstens ist die Wahlbeteiligung in vielen europäischen Ländern generell deutlich höher als in den USA. Die Effekte von Haustürwahlkampf in Europa können also nicht so groß sein wie in den Vereinigten Staaten, da das Mobilisierungspotential allgemein geringer ist. Zweitens gibt es kulturelle Unterschiede, da Wähler*innen in Europa nicht an Haustürwahlkampf gewöhnt sind und diesen als aufdringlich empfinden könnten. Des Weiteren ist die europäische Politik weniger erfahren in Bezug auf Haustürwahlkampf. Zuletzt gibt es institutionelle Unterschiede: Da europäische Wahlen weniger auf die Kandidierenden fokussiert sind, können sich Diskussionen beim Haustürwahlkampf schwieriger gestalten. Die Gespräche drehen sich dann nämlich weniger um die individuellen Vorzüge eines*r Kandidaten*in, sondern vielmehr um abstrakte Probleme und ganze Parteien. Des Weiteren gibt es in Europa keine Wähler*innen-Registrierung, sodass weniger Informationen über die Wähler*innen bekannt sind.
All diese theoretischen Überlegungen werden von Studien, die zeigen, dass Haustürwahlkampf in europäischen Ländern weniger effektiv ist als in den USA, gestützt. Dabei ist allerdings noch deutlich mehr Forschung notwendig, um die Wirkung des Haustürwahlkampfs in europäischen Ländern abschließend einschätzen zu können.
Neben wissenschaftlichen Studien wird Haustürwahlkampf auch in anekdotischen Berichten oft sehr positiv bewertet. Die Wahlkämpfer*innen betonen dabei stets das Mobilisierungspotential und die Relevanz des direkten Kontakts zu Wähler*innen. Außerdem betont unsere Kandidatin Seija, dass der Haustürwahlkampf sich besonders gut dafür eignet, Menschen außerhalb der eigenen Bubble bzw. Menschen, die sich normalerweise nicht von der Politik angesprochen fühlen zu erreichen und als Kandidat*in ansprechbar für deren Anliegen zu sein.
Insgesamt ist es also empirisch nicht zweifelsfrei belegt, wie effektiv der Haustürwahlkampf in Deutschland ist. Die Ergebnisse aus den USA, selbst wenn sie in Deutschland nur in abgeschwächter Form auftreten sollten, und anekdotische Berichte stimmen aber trotz der unklaren Studienlage positiv.
Wie bei der Wirkung des Haustürwahlkampfs bereits angedeutet, kommt dieser natürlich neben vielen Vorteilen auch mit einigen Nachteilen. Als Nachteil wird z.B. genannt, dass Haustürwahlkampf ein sehr dezentrales Kampagnen-Instrument ist und die Bundes- bzw. Landesebene einer Partei es vorziehen könnte, die zentralisierte Kontrolle über die Verwendung von Kampagnen-Ressourcen zu haben. Außerdem sind andere Kampagnen-Mittel einfacher, schneller und auf größerer Skala umzusetzen. Aus diesen und weiteren Gründen liegt der Fokus von Kampagnen insgesamt - zumindest in den USA - oft nicht mehr auf dem Haustürwahlkampf.
Des Weiteren gibt es einige praktische Hürden zu bedenken: manche Haushalte sind nicht für Freiwillige zugänglich, in ländlichen Gegenden sind große Distanzen zurückzulegen und teilweise kann es im Haustürwahlkampf für Freiwillige zu unangenehmen Situationen kommen. Zusätzlich stellt es eine Herausforderung dar, Haustürwahlkampf in einem großen Rahmen umzusetzen und Freiwillige zu finden, zu schulen und einzusetzen.
Trotz alledem hat die Bedeutung von Haustürwahlkampf in den letzten Jahren zugenommen, u.a. aufgrund der vielen positiven Erfahrungen mit diesem Wahlkampfinstrument. Vor allem Kandidierende aus der Zivilgesellschaft bringen oft sehr gute Voraussetzungen mit, guten und effektiven Haustürwahlkampf in einem großen Stil umzusetzen.
Wenn du überlegst, ob Haustürwahlkampf für deine Kampagne ein sinnvolles Instrument ist, solltest du zunächst eine einfache Kosten-Nutzen-Abwägung anstellen. Die Kosten beim Haustürwahlkampf sind (wenn man die benötigten zeitlichen Ressourcen außen vor lässt) relativ gering: Du musst lediglich in Infomaterial und evtl. ein Erkennungszeichen (Buttons, T-Shirts etc.) investieren. Allerdings geht mit dem Haustürwahlkampf ein erheblicher zeitlicher Aufwand einher. Im Vorhinein müssen die Routen etc. geplant und Freiwillige geschult werden und der Wahlkampf selbst nimmt dann natürlich auch sehr viel Zeit in Anspruch.
Je nachdem, welche Ziele man verfolgt, kann der Nutzen des Haustürwahlkampfs unterschiedlich bewertet werden. Wenn man sich lediglich auf die Effektivität des Haustürwahlkampfs im Sinne der erzeugten Wähler*innenstimmen fokussiert, hängt der Erfolg von den kontaktierten Wähler*innen und der Überzeugungskraft der Freiwilligen ab. Als Anhaltspunkt gilt, dass, bei sechs kontaktierten Haushalten pro Stunde, alle 115 Minuten eine zusätzliche Stimme generiert wird (Wichtig: in diesen Berechnungen werden allgemein die erzeugten Stimmen, unabhängig davon, für wen diese abgegeben werden, gezählt). Der zeitliche Aufwand ist also durchaus groß.
Nicht zu vernachlässigen sind aber die positiven Nebeneffekte des Haustürwahlkampfs, wie zum Beispiel, dass die Wahlkämpfer*innen Feedback von Wähler*innen zu deren Problemen und Erwartungen erhalten, dass Infomaterialien verteilt und dass Informationen über die Wähler*innen gesammelt werden können. Außerdem wird durch den Haustürwahlkampf eine persönliche Bindung zu den Wähler*innen aufgebaut. Der Aufwand, den der*die Kandidat*in auf sich nimmt, zeigt den Wähler*innen des Weiteren, wie wichtig ihre Partizipation ist. Und dies kann bereits viel bewirken: Viele Nicht-Wähler*innen brauchen nur einen kleinen Anstoß, um sie zu motivieren und eine persönliche Einladung kann hierbei schon einen großen Unterschied machen (https://www.jstor.org/stable/pdf/10.7864/j.ctt1657t5x.6.pdf?refreqid=excelsior%3Ae9c97d550b93f185b56619269932b091&ab_segments=&origin=&acceptTC=1).
Insgesamt kann sich die Effektivität von Haustürwahlkampf also von Fall zu Fall unterscheiden. Wenn du deinen eigenen Wahlkampf planst, ist es also wichtig, anhand der oben genannten Faktoren eine Entscheidung zu treffen, ob bzw. wie stark du diese Ressource nutzen möchtest.
2024 Halle SPD-Kandidatur von Julius Neumann:
Haustürwahlkampf sind eine effektive Methode, um Wählerinnen und Wähler direkt zu erreichen und sie von der eigenen politischen Agenda zu überzeugen. In meiner Erfahrung hat sich gezeigt, dass solche Aktionen durchaus Erfolge erzielen können. So konnte in einigen Wahlbezirken bei der Kommunalwahl in Halle eine Steigerung der Stimmenanteile von etwa 8 % auf 12 % erzielt werden.
Trotz der Erfolge ist jedoch zu beachten, dass Tür-zu-Tür-Aktionen sehr zeitintensiv sind und daher in absoluten Zahlen eher geringe Reichweiten erzielen. Aus meiner Erfahrung heraus lassen sich pro Stunde etwa 30 bis 50 Haustüren erreichen, wobei es gelingt, etwa 2 bis 3 Menschen davon zu überzeugen, für einen zu stimmen.
Besonders erfolgreich waren diese Aktionen in Gebieten mit Einfamilienhäusern. Hier würde ich zukünftig noch intensiver klingeln, da diese Gebiete sehr gut funktioniert haben.
Um die Effektivität von Tür-zu-Tür-Aktionen weiter zu steigern, habe ich folgende Erfahrungswerte gesammelt:
Striktes Zeitmanagement: Es ist entscheidend, pro Haustür maximal 1 bis 2 Minuten zu investieren. Menschen mit größerem Gesprächsbedarf sollten auf alternative Kontaktmöglichkeiten wie Sprechstunden oder Infostände verwiesen werden. Ich habe erlebt, dass Gespräche manchmal über 20 Minuten dauern können, was zwar interessant ist, aber die Gesamtwirkung stark einschränkt.
Strategisches Vorgehen in Mehrfamilienhäusern: Hier empfehle ich, zunächst an den unteren 2 bis 3 Türen zu klingeln, da die Bewohner oft direkt öffnen, ohne den Türöffner zu nutzen. Sollte dies nicht zum Erfolg führen, ist es ratsam, von oben nach unten durchzuklingeln, bis man Zugang zum Gebäude erhält.
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Bei weiteren Fragen, kann Julius gern unter [email protected] kontaktiert werden!
Buch: Get Out the Vote: https://www.brookings.edu/book/get-out-the-vote-2/
Dies ist ein Beitrag von Brand New Bundestag. Für mehr Informationen zu dem Thema und Hilfestellungen, wende Dich gern an [email protected] oder besuche https://brandnewbundestag.de/